PIAZZA VIRTUALE - VAN GOGH TV @ DOCUMENTA 9, KASSEL

 

Das interaktive Fernsehprojekt Van Gogh-TV zur Kasseler Documenta IX

Das mediale Kunstwerk 'Van Gogh TV' war Europas erstes interaktives Fernsehprojekt zur Kasseler Doccumenta IX vom 13.6. - 20.9.1992, das von Benjamin Heidersberger, Carel Dudeseck, Mike Hentz und Salvatore Vanasco konzipiert und koordiniert und von verschiedenen Gruppen und Einzelkünstlern, u.a. der Pyromania Arts Foundation, betrieben wurde. Die ursprüngliche Initiative und die konzeptionelle Grundlage kamen aus den Reihen der Performence und Musikgruppe 'Minus Delta t' und des Hamburger ‘Ponton - European Media Art Lab’.


Das Projekt Piazza virtuale

Der Grundgedanke bestand darin, auf der Documenta einen künstlerischen Fernsehsender zu installieren, der durch Ausnutzung neuerer Video/Computer-Technologie eine direkte Teilnahme der Zuschauer ermöglichte. Technisch wurde dies realisiert durch die Fernsteuerung von Videokameras, Video/Tonmischer und synthetischer Bild- und Tonwellen über Tonwahl-Signale (‘touch-tone’) durch die Telefonleitung. Damit konnte jeder Zuschauer, der ein auf Tonwahl umschaltbares Telefon, oder einen separaten Touch-Tone-Piepser (z.B. von einem fernsteuerbaren Anrufbeantworter) besitzt, auf das Endprodukt Einfluss nehmen.

Auf der Basis früherer Arbeiten und Vorgespräche im Laufe des Jahres 1991 wurde im Dezember vom damaligen Ausstellungsleiter, Jan Hoet, dem ‘Piazza virtuale-Projekt’ eine Einladung zur Teilnahme an der Documenta IX ausgesprochen. ‘Piazza virtuale’ lief während der gesamten Ausstellungsdauer der 9. Dockumenta, 100 Tage lang, 24 Stunden täglich.


Sende-Anstalten

Zur ausschnittsweisen Übertragung wurde mit zahlreichen Sendern verhandelt und im Vorfeld bereits einige Zusagen eingeholt, wie zum Beispiel:

NDR, BR, SWF u.a. als Dokumentation.
3Sat, Österreich und BRD, 2 Std. täglich.
Tele cinq, Frankreich, 1 Std. täglich.
RAI Sat, Italien, evt. 1 Std. täglich plus Dokumentation
und diverse Satelliten-Sender in den USA.
1993 gefolgt von NHK (Nippon Hoso Kyokai), Japan, täglich.

Nebst der medialen Präsenz existierten eine Piazetta und ein Sendestudio vor Ort in Kassel, wo eine Live-Sendung von Pyromania Arts mit Temple Ov Psychick Youth (TOPY) Aktivisten realisiert wurde und Besucher über eine Inszenierung oder auch interaktiv in das gesendete Geschehen eingreifen konnten. Dazu gab es nach Tageszeiten strukturierte Themenblöcke, z. B. den ‘Beichtstuhl’, den ‘Bazar’, die ‘Konferenz’, das ‘Kunstlexikon’, die ‘Spielhölle’, ‘Tiere’, ‘Teletherapie’.

Diese Themen waren jedoch nur der interaktive Rahmen für den Input von Außen, vom Studio selbst wurde kein Bild erzeugt, kein Moderator griff ein. Den Einfluss auf die einzelnen Bild-/Ton-Elemente hatten die jeweils ersten Anrufer in der Telefon-Warteschlange.

Die Zusammenarbeit zwischen der ‘Ponton’-Kernzelle und anderen Künstlern, wie dem Kölner Quantenpool - beruht auf dem Gedanken des Netzwerks. Das heißt, die einzelnen “Knoten” (Einzelpersonen, Gruppen und Teilprojekte) füllten den durch die Grundstruktur geschaffenen Raum mit  eigenen Themen und Inhalten. Das Kasseler Projekt war der Anlass, nicht die Grundlage.


Quantenpool Köln:
Die Piazetta, der Netzwerkknoten und die Kooperationen

Vom 13.6. bis 20.9.92 arbeiten auch verschiedene Kölner Gruppen der prozeßorientierten Kunst erstmals in einem gemeinsamen Projekt. In der Kölner Molkerei Werkstatt wurde über diesen Zeitraum ein offenes Büro instal­liert. Es diente als Kristallisationspunkt für den Austausch der Künstler und als Sendestudio für tägliche Fernsehbeiträge über 3sat. Nebst festen Themengruppen gab es auch eine Reihe frei produzierter Sendungen von Gruppen und Einzelpersonen, die sich zu vorher abgestimmten Zeiten in die ‘Piazza virtuale’-Sendung einklinkten. Technisch geschah dies über Telefonleitungen und Touch-Tone, Computer-Modem (Mailbox, evt. Telematic) sowie via ISDN-Bildtelefon.

Zu unterschiedlichen Themenbereichen sendeten von Köln aus u.a. folgende Gruppen und Individuen: Ultimative Akademie, Bernd v.d. Brincken, Boris Nieslony (ASA), Werner Gozalka (Maiga), Petra Deus (RoKaWi), Kunstpiraten, Gruppe von Aldebaran, Lisa Cieslik and friends und der Medienschamane Boris Hiesserer (Pyromania Arts Foundation) mit unterschiedlichen Gästen.  

Unter diesem Netzwerkgedanken schlossen sich seinerzeit nebst Köln auch in Vancouver, Paris, Mailand und anderen europäischen Großstädten ähnliche Quantenpools zusammen, um erstmals in Europa und darüber hinaus die Möglichkeiten des interaktiven Fernsehens zu erproben.                                  

Grundsätzlich interessant war zum einen die Verknüpfung zwischen den beteiligten Personen, Gruppen und Strömungen. Zum anderen war es das Erproben des Interaktiven Fernsehens, das durch neue elektronische Medien erst möglich wurde. In diesem Zusammenhang ging es ebenso um eine Überprüfung positiver Visionen wie „Netzwerk-Modell“ oder „weltweiter kultureller Austausch“.

Die Einleitung ins Projekt, die 'Piazza virtuale'-Sendungen von Pyromania Arts @ Van Gogh TV, sowie seine entgültige Abschaltung, durch das Tasten-Telefon eines Anrufers, befinden sich in der Opens external link in new windowYouTube-Playliste 'Van Gogh TV - Piazza Virtuale (Interaktives TV-Projekt) 9. Kasseler Documenta, 1992'


Forschungsprojekt 'Van Gogh-TV'

Ein DFG-gefördertes Forschungsprojekt „Van Gogh TV” beschäftigt sich mit dem Medienkunstprojekt „Piazza Virtuale“, das die Künstlergruppe Van Gogh TV im Jahr 1992 bei der documenta 9 durchführte und das heute als Vorläufer der sozialen Medien betrachtet werden kann.

Im Mai 2020 tagte, an der Uni Mainz eine Art Symposium, mit Online-Präsentationen, Vorträgen und Podiums-Diskussionen, an denen auch einige den ehemaligen Minus Delta T Mitglieder und Van Gogh TV Aktivisten beteiligt waren.

Als Teil des Forschungsprojekts werden die materiellen und virtuellen Relikte der 100-tägigen Medienaktion aufgearbeitet, theoretisch und historisch analysiert und bewertet sowie für die langfristige Archivierung aufbereitet.

Piazza Virtuale @ Van Gogh TV

Van Gogh TV, Team & Piazettas

Boris Hiesserer @ Quantenpool Köln

Piazza Virtuale @ Quantenpool Köln

Pyromania @ Quantenpool Köln

Penisneidspiele, Piazetta Hamburg

Nippon Hoso Kyokai TV, Japan 1993

Pyromanias Video-Publikation, 1992

Van Gogh TV Sponsoren, 1992

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