Der Symbolkreis der Frau (und die nötige Umdeutung) - von der Dämonin zur Heiligen

„Was da ist, was da sein wird und was gewesen ist, bin ich.
Meine Scham hat keiner entblößt.
Die Frucht, die ich gebar, war die Sonne,“

so sprach einst die Große Göttin.

Eule, Muschel, Wasser, Töpfe, Felsbecher und durchbohrte Perlen und Spirale sind Symbole einer steinzeitlichen Göttin der Lebenswasser, die den Zyklus von Leben, Tod, und Wiedergeburt garantierte und den Kreislauf der Zeit hütete. Einst wurde sie verstanden als die sich selbst Gebärende und sich selbst verschlingende Schlangendrachin (das Ouroboros Symbol) allumfassend, namenlos und heilig. Sie war Herrin über Leben und Tod, Mensch, Tier und Pflanze und Elemente an sich. Ihr geheiligter Ort war der Kraftplatz oder der Zeremonialbereich der Heiligen Hochzeit (Hieros Gamos), wo das durch sexuelle Vereinigung herbeigeleitete Verschmelzen einer Göttin-Priesterin und ihrem Heros sakral zelebriert wurde. Ein Heros, der im Jahreskreislauf rituell seinen eigenen symbolischen Tod durchleben musste, um schließlich durch Wiedergeburt das Königsamt zu erlangen. Und so galt die Göttin als mildtätig und gnadenlos zugleich.

Als Spenderin und Entzieherin des Lebens, waltet die dreifältige Göttin über Heirat, Tod und Wiedergeburt des Königs, ihres irdischen Gemahls, des Jahresheros oder „Befruchter der Erde“. Der Untergang der Drachin konnte auf den verschiedenen Odilien-Bergen bei Strassburg, bei Eppingen im Kraichgau und in Holland abgewehrt werden. Auf all jenen, den Drachenrittern geweihten Stätten hingegen wurde sie verdräng. Der „Untergang“ der Göttin, und mit ihr die Entrechtung der Frau beginnt um das Jahr 4000 v. u. Zeitrechnung nordwestlich vom schwarzen Meer. Sie wird aus dem Himmel gestürzt und zur unterirdischen Göttin, zum dunklen Aspekt der „Schwarzen Sonne.“

Der ihr zugeteilte Mond* mit seiner geheimnisvollen Macht über die (den Gezeiten unterworfenen) Gewässer und den regelmäßig wiederkehrenden Fluss des Menstruationsblutes, ist Mittelpunkt einer weltweit anzutreffenden Reihe von Symbolen. Er tauch auf in den Steinzeithöhlen der Jäger- und Sammler-Kultur und mit Beginn der Ackerbaukultur auch auf der Himmelscheibe von Nebra (Alter 3.600 Jahre) und den goldenen Zeremonial-Hüten der ur-germanischen PriesterInnen (Alter 3000 Jahre) einkodiert finden und deren zyklische Bedeutung wir nun zu verstehen beginnen.

Die alten Gallier, deren Kosmologie (Weltbild) und Theologie (Religion) zusammen mit ihrer oralen Tradition (mündlicher Überlieferung) verschwand, haben uns zwei- und dreiköpfige Figuren hinterlassen, die unweigerlich an immer widerkehrende keltische Symbole erinnern: an die doppeldeutige, zwei Seiten zugleich zugewandte Haltung und an den zyklischen Charakter der Triade; die dreifaltige spätsteinzeitliche Göttin der Wasser, der Erde und des Lichts. Sie ist die Urgöttin, deren heilige Wasser in den Bechersteinen verehrt werden. Sie ist der Drache, oder besser die Drachin, die durch ihren Orgasmus Flügel bekommt. Wie die geflügelt gefiederte Schlange, ist sie ein Ursymbol kreativer schöpferischer Kräfte.

Sie ist die Lillith, die schon zu Beginn der Menschheitsgeschichte eine Kontroverse eröffnet: das Problem der (Un-)Gleichheit von Mann und Frau. Lillith, die sich als die erste Frau Adams gegen ihren Mann auflehnt und beflügelt in die Lüfte entschwebt. Ihr Mythos wiederspricht dem traditionell christlichen Bild und hilft dabei, die uralte Männerherrschaft zu überwinden. Auch wenn Lillith mit der assyrischen Sturmdämonin Lilitu (Lil = Wind oder Sturm) in Verbindung gesetzt wird, ist sie die Verkörperung der Göttin und wird in einem babylonischen Text als Tempeldirne der großen Göttin Ishtar bezeichnet. Ishtar war die Göttin der sinnlichen Liebe, der wollüstigen Verführung und Patronin, sprich Schutzgöttin der kultischen Tempeldirnen und es fanden orgiastische Feierlichkeiten für sie statt.

Herodot berichtet, dass in Babylon jedes Mädchen einmal einem fremden Mann, der einen Gott verkörperte als fleischgewordene Göttin beiwohnen musste. In Lilitu offenbaren sich auch die Züge der „dunklen“ (nicht bösen) Göttin Lamaschtu, die das Kindbettfieber verursachte, Schwangere oder Neugeborene schädigte, was auf Lilitu übertragen wurde. Der Lillith-Mythos in der Schrift „Das Alphabet des Ben Sira“ im 9. oder 10. Jh. taucht ihr Name im jüdischem Mythos erstmals auf und fand im frühen Mittelalter Eingang in die Kaballa – nämlich als Gefährtin des Samael, ein hebräisches Wort für den Teufel.. Aber 1500 Jahre zuvor, bei der Entstehung des alten Testaments, gab es bereits eine Diskrepanz: Nach einer Auffassung (Überlieferung/Übersetzung) schuf Gott zuerst Adam, dann aus ihm Eva, nach der anderen schuf er beide zugleich, was Lillith eine Möglichkeit und der Vision von Harmonie eine Chance einräumte.

Wir wissen welche Geschichte von den Philistern (Schreibkundugen) bevorzugt wurde. Lillith bekam ihre zentrale Stellung innerhalb des Dämonenglaubens im Judentum zugeteilt und wird als Dämon „der die Herzen der Männer in die Irre gehen lässt“ charakterisiert. In einer Vision des Propheten Jesaja vom untergang der Feinde Zions heißt es: „In seinen Palästen werden Dornen wachsen (...) nur dort wird Lillith rasten.“ Der Machkampf zwischen Adam und Lillith ist nach dem Mystikforscher und Psychoanalytiker Siegmund Hurwitz: „eine Spiegelung des uralten Geschlechterkampfes zwischen einer patriarchalischen Einstellung des Mannes einerseits und den Forderungen der Frau nach Unabhängigkeit“ - also ein Problem, dass (außer in Mythen und Sagen versteckt) weder in der Antike noch im Mittelalter eine offensichtliche Rolle spielte.

Erst ein englischer Dramatiker lässt sie 1604 in seinem Faust-Drama als Hexe von hohem Rang im Rahmen großer nächtlicher Versammlungen wie auf dem Blocksberg erscheinen, wie es Goethe in der Walpurgisnacht-Szene groß herausstellt. Goethe lässt Mephistopheles sagen: „Betrachte sie genau. Lillith ist Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren, vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den jungen Mann erlangt, so lässt sie ihn sobald nicht wieder fahren.“ So tauchte ihr Name auch in den Hexenprozessen, die im späten Mittelalter begannen, sich zu einer Massenhysterie zu entwickeln auf – Lillith, als des Teufels Gehilfin und „Verführerin“ der Frauen zu „Untaten“ wie „Buhlschaft mit dem Teufel“.

Gewaltsam wurde die Herrschaft der Frau unterdrückt und mit ihr die friedlichen Stammesverbände matriarchalischer Gesellschaftsformen. Über lange Zeit hinweg wusste nur die Frau, woher die Schwangerschaft kam und mit wem sie ihre Kinder gezeugt hatte - lange bevor Männern ihre biologische Rolle als Väter und Samenspender bewusst wurde. Doch als man der einstmals allumfassenden Göttin (und Frau) die Autonomie abzusprechen begann, wurde sie nur noch als Gefäß der (fortan männlich geglaubten) Gottheit betrachtet, außerhalb der Dreifaltigkeit stehend und machtlos. Diese Beschränkung der Frau auf die mütterlichen Aspekte einer entmachteten Göttin, an denen sich der Blick des Mannes erfreut, hatte weitreichende Folgen für die reale Frau - bis zum heutigen Tag.

Die Spaltung der Göttin in verschiedene (scheinbar nicht zu vereinbarende, instabile und unberechenbare) Aspekte, der hellen und dunklen Göttin, war die nächste Stufe der Entmachtung und ging dem entgültigen Untergang der matriarchalisch-linearen Stammesstrukturen voraus. Die letzte Stufe der Entmachtung war die Dämonisierung, als die männlichen Götter sich die lichten Symbolbereiche zueigen machten und der Frau die dunkle Seite und Symbole zugeteilt wurden. Das Weibliche wurde in den Bereich der Drachin, der Dunkelheit und Unterwelt verbannt und die Göttin zur finsteren Kraft, zur Gespielin des Teufels und Gegenspielerin Gottes.

Nur noch die Mythen berichten, dass verschiedene Göttinnen ursprünglich aus einer, lichten, hellen Göttin entstammen. Auch Indianische Mythen bewahren die Geschichte vom „Sturz der Göttin durch ihren Heros oder besser noch ihren jüngeren Sohngeliebten“. Es ist der Mondsohn, der seiner Sonnenmutter Sand in die Augen streut, um ihren Platz einzunehmen bzw. um sie zu verdrängen. Die ursprünglichen, schöpferischen Fähigkeiten wurden nun zunehmend die Kopfleistungen der Männer, wie es in der Geburt der Athene aus einem Kopf zur Darstellung kommt. So begleitet die Entmachtung der zyklischenWeiblichkeit und die Verdrängung der Göttin in die Unterwelt, den Aufstieg des männlich-linearen Patriarchats

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