Das Wesen des Waldes - von heiligen Stätten, Feen, Kobolden und Elfen

Die in Mitteldeutschland ansässigen Stamme waren der Ansicht, dass es nicht angemessen sei, die Gottheit in Wände von Tempeln einzuschließen oder sie in menschlicher Gestalt nachzubilden. Wie die Gallier, Briten und Germanen kommunizierten auch die Kelten mit der Gottheit über Haine, Bäume oder Felsen, die nicht durch unachtsames Betreten beschädigt oder entweiht werden durften. So finden wir in unserer eigenen Geschichte eine Stammesverwaltung, die auf geistiger, nicht auf weltlicher Logik basieren konnte. Die Rekonstruktion ihrer Kosmologie kann durch die Interpretation von Orts- und Flurnamen, die sich erhalten haben ergänzt werden. So erfährt man oftmals welche Gottheit bzw. Göttin(nen) und Götter man wo in welcher Abfolge verehrte und auch welche Orte in welcher Weise als heilig galten.

Insbesondere Bäume hatten es ihnen angetan. Die „Nemeton“ genannten, gehüteten Wälder und Eichen-Haine wurden geheim gehalten, einzelne Bäume zu göttlichen Wesen erhoben und ihr Wesen als weiblich empfunden. Obgleich der Bischof von Lausanne Umweltschutz im Mittelalter betrieb indem er im Jahr 1497, vor einem Baum stehend, die Maikäfer mit dem Kirchenbann belegte, hieß es später im kirchlichen Verbot: „vota ad abores facere...“ (den Bäumen Opfer oder Geschenke darbringen...) Die gallisch-germanisch, keltischen Götter Dana oder Don, Maeve, Nuada, Lug, Bel, Gobniu wurden von christlichen Geistlichen abgewertet, hatten sie doch ein Interesse daran, die Götter der „Alten Religion“ als Ausdruck heidnischer Ungeschliffenheit zum Gespött zu machen.

Den Druiden-Schamanen dienten diese Bäume, Quellen und Stätten, an denen die Kraft der „Alten Religion“ noch aktiv war, als Orte der heiligen Vereinigung. Es waren die (Stammes)Welt-Mittelpunkte, Kraftplätze die den Menschen die Verbindung zum Göttlichen, den Aufstieg in andere Bewusstseinsdimensionen leichter machten. Keltisch sind sowohl der Name des Rheins, wie seiner östlichen Nebenflüsse, Neckar, Main, Lahn, Ruhr und Lippe, sie alle tragen keltische Namen. Quelle, Fluss oder Wasserstrom galten als lebendiger Ausdruck der Erdmutter - aber dies allein verlieh dem Gewässer noch keine Heiligkeit. Erst eine besondere Verbindung mineralischer, pflanzlicher und ätherischer Eigenschaften, die gewissen Quellen zu bestimmten Tages- Nacht- oder Mondphasen entspringen, ließ besondere Kräfte entstehen.

So hatte jede Provinz oder Gegend, jeder Stammesverbund eine eigene heilige Stätte, die das Zentrum der Welt bildete. Der Name dieser Stätte verwies auf die Beziehung zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Stamm und seiner Gottheit. Die alten Götter und Überreste von Ritualen und Volksbräuche die mit diesen zu tun hatten, wurden so Teil einer ererbten Traumwelt, die ganz und gar keltisch war. ihre poetisch-romantische und umfassende Anschauungsform ließ die Kelten diese Naturtempel und Erdanlagen, mit ihrer offensichtlichen Aura übernatürlicher Macht, als Heimstatt der Wesen aus dem Jenseits betrachten, die von den Iren Sid oder auch Side genannt wird.

Jeder heilige Ort besaß auch einen „Schutzgeist“, der das „Nemeton“, das geistige Zentrum hütete, die täglichen Rituale mit angemessener Feierlichkeit überwachte und die Gestalt eines Vogels, eines Fisches oder eines Hasen annehmen konnte; je nachdem welche Erscheinung der Göttin am besten zusagte: die Gestalt einer abscheulichen Hexe oder eines wunderschönen Engels, je nach Umständen und je nach Charakter eines eindringenden Besuchers! Solche Stätten galten als „Öffnungen zum Jenseits“, als Schoß der Erdmutter, die unter verschiedenen Namen und in unterschiedlichen Erscheinungsformen angerufen wurde.

Das Sid bildet als Zwischenreich und Zone zwischen einer Vielzahl paralleler Welten, ein entscheidendes Thema der keltischen Kunst und des keltischen Mythos. Ihren übernatürlichen, Side genannten Bewohnern, die wechselhaft und von zweierlei Art sein sollen, begegnete man schon damals (der Unreinheit der Welt wegen) nur selten. Mit dem Einzug des Christentums verwandelten und verschwanden sie zwar, lebten aber in Zwischenstadien und der Folklore weiter und wurden so zu den Feen, Kobolden, Elfen, Gnomen, Zwergen und todverkündenden Geistern des Volkstums. Ihre psychische Realität ging nie ganz verloren - heute verbergen sich die Überbleibsel alter, religiösen Scheu vor ihnen, hinter den komisch-grausigen Schrecken von Geistergeschichten, Horrorfilmen und Akte X-Serien.

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