Der Berg Ruft die jungen wilden Horden

Von Verwirrung, Rebellion und vom Wiederaufleben moderner Stämme in der Subkultur


Die Walpurgisnacht zwischen Heiligenberg und Heidenloch


Jedes Jahr wächst die Anzahl vorrangig jugendlicher Sinnsucher, die sich zur Walpurgisnacht auf dem Heiligenberg versammeln, sondern auch die globale Gemeinschaft von Menschen, die sich vom ‚Alten Weg’ angezogen fühlen.
So beabsichtigen in der Nacht zum 1.Mai 2002 erneut 12. - 20.000 Menschen, sich in Heidelberg auf der Thingsstätte des Heiligenbergs zu versammeln, zwischen Ihresgleichen zu feiern und sich fallen zu lassen, s Ich zu verlieren und neu zu entdecken, um die Wahrnehmung unserer Ahnen als Naturvolk zu erschließen und mit all diesen Eindrücken vielleicht gar ein neues Kapitel im eigenen Leben.

Gegenüber vom Königsstuhl und dem Heidelberger Schloss ruht der Heiligenberg. Als eines der früh besiedelten, heidnischen Nachrichtenzentren um Heidelberg verkörpert der hohe Berg im Norden den geistigen Bereich der Stadt - deutlich durch den Neckar von Universitäten, Kirchen, Verwaltungsgebäuden und Einkaufstrassen - von der weltlichen Seite, getrennt. Wen wundert es, dass sich im Laufe der Zeit die Wirklichkeiten, Sagen wie Mythen um diesen Ort vermischt haben, dass ursprüngliche Siedlungen und Kultstätten überbaut und zweckentfremdet wurden und die geschichtliche Überlieferung verfälscht? Und doch hat der Berg seine magische Ausstrahlung - die damals wie heute dem heidnischen Impuls des Volkes entsprang - nie ganz verloren. Auch das von Sagen und Spukgeschichten umwitterte Heidenloch (Stich/Foto existent), ein steil und tief in den Fels gearbeiteter Schacht, liegt innerhalb dieses Areals. Mittelalterliche Schriftsteller berichten von dem unheimlichen, ja unheiligen Berg. Er galt als verrufen, als heidnischer Ort, als Stätte der Wotans-Verehrung. Hexen tanzten auf ihm und trieben es wie in der Walpurgisnacht. (Bergenthal 193, S12)

Tausend Jahre bevor die Machthaber des Nazi-Regimes, in den Jahren 1934-35, die Thingstätte von terrorisierten Zwangsarbeitern erbauen liessen, hatten bereits die Kelten zwei steinerne Ringwalle um ihre Siedlung auf der Kuppe des Heiligenbergs errichtet. Die Archäologen wiesen hier ein Mithras-Heiligentum nach sprechen von der nach Fundorten benannten Hall- oder La-Tène-Kultur, um 400 v.Chr.. Das der Fund einer Plastik dem germanisch-römischen Gotte Jupiter zugeordnet wurde, stellte sich während meiner Recherchen als eine von der NSDAP notwendig erachtete Propaganda-Massnahme heraus, die den Heiligenberg für die in Planung befindliche Thingstätte, als historisch geeigneten Bauplatz darstellen sollte. Vielmehr waren hier unsere heidnischen Vorfahren aktiv. Die Kelten nutzen den Heiligenberg gar, als eine von vielen Stationen in einem Kelto-Germanischen Nachrichtensystem. Ihre Hellmänner waren unsere ersten heimischen Nachrichtenmänner, die durch „Schusterlinsen“ (mit Wasser oder Urin gefüllten Glasgefäße) gebündelte Lichtstrahlen genauestens ausrichten und über sieben Kilometer weit senden konnten! Das beschreibt Gernot L. Geise in seinem Buch ‚Das keltische Nachrichtensystem wiederentdeckt’. Von der EFODON (Gesellschaft für Erforschung für frühgeschichtliche Technologie) wurde es rekonstruiert und 2001 bei Ausstellung im Stadtmuseum Schongau dargestellt. Erst als christliche Missionare in die keltischen Gebiete vordrangen, wurden die einst so respektierten und mächtigen Teufel (tiuvel, tievel = mittelhochdeutsch für Riese, Waldmensch), die in den Wäldern wohnten und Hörner(helme) und Fell(mäntel) trugen, rußig waren und nach Pest und Schwefel (Feuer und Rauch) stanken, von Geachteten zu Geächteten.

Lange bevor der Schatten des Kreuzes auf unsere Landschaft fiel, errichteten auf dem heiligen Berg die Kelten ihre Kultstätten. Die christlichen Mönche, die Thingfeste des dritten Reichs, die Blumenkinder der 60er Jahre, die Wald-Konklaven von Öko-Saboteuren, globale Meditations- und Aktivierungskampagnen und die Walpurgisnacht - das keltische Maifest der neuen Heiden sollten folgen. Und das obgleich, so erklärt Fraser Clark, WEBSITE selbst englischer Aktivist der Cyber-Kultur „... seit sie den Hippies den Todesstoß versetzt haben, ist die Seinsweise der Jugend (als Hoffnung und Gewissen der Kultur) systematisch von ihren historischen Wurzeln abgespalten worden. Und es geht hier um kulturelle Wurzeln die über die Punks, die Hippies, Rebellen, Beatniks, Bohemiens, Sozialisten, Romantiker, Alchemisten, die Shaker und die Quaker, die Hexen und die Häretiker, bis ganz an die Wurzeln zu den Heiden zurückreichen.“ Umso verwunderlicher scheint es, dass heute viele Vertreter der neu-heidnischen Bewegung, wie einst ihre Vorläufer, die Thingsstätte als einen der zentralen Meridiane des lebendigen Planeten betrachten, also einen Ort der Kraft, in den sie ihre Kristalle, Gebete, Gesänge und Beats in das Planetare Gitternetz hin-ein-pflanzen können. Und heute wird, wie damals ein ähnlich subversives, neu-heidnisches, Kommunikationsnetz, von der Aussteiger-Jugend zur Walpurgisnacht, mit der Funktechnologie; dem Handy errichtet: „Hey, wie schauts aus, wo seid ihr grad, kommt ihr noch? Wir.. hier an der Mauer rechts am Wald, totaal geil, nee, nee keine Kontrollen! „

Das alte wie das neue Heidentum verkörpert somit das Rauschen im System, das die Fragen fragt, die nicht gefragt werden sollen und die Dinge sieht, und über technische Mittel verfügt, die es nicht geben soll.

Unser bislang unstrukturiertes Treffen zur Walpurgisnacht, vermag einen weiteren Schritt in die Bewusstwerdung darzustellen, die uns aus der Ohnmacht in die Selbstverantwortung verhelfen mag ist. Es ist - wenn auch nur zum Teil bewusst - ein Ausdruck des archaischen Revivals, das zu Beginn des neuen Jahrtausends seine Kräfte bündelt, um sich der Fallen und Illusionen der Babylonischen-Matrix zu entledigen. Am klarsten umschreibt der US-Autor Hakim Bey diese Art „Stammestreffen“ mit seinem Modell der TAZ (temporary autonomous zone):
„In einem begrenzten Zeitraum, an einem ausgewählten Ort, funktionieren wir auf der Ebene der Gemeinsamkeit und leben ein neues Wertesystem, eine neue Ethik und neue Verhaltensweisen.“ Die Autoritäten mögen sich mehr als besorgt zeigen, weil sie ängstlich sind die Kontrolle zu verlieren, wenn ein Teil der Gesellschaft die Rechtsordnung umgeht und staatliche Regelungen ablehnt, um eine Netz von Eigenverantwortung und Sozialkompetenz zu formen. Was letztlich auch daran liegen mag, dass es nicht mit den herkömmlichen Gesellschaftsmodellen zu vereinbaren ist, dass eine Versammlung von einigen Tausend Menschen verschiedener Klassen und Kulturen stattfinden kann, OHNE Ausbeutung oder Ausbruch von Gewalt.

Offensichtlich liefern die Jugendkultur und die ihr heute zur Verfügung stehenden technologischen Mittel, völlig neue Denkansätze UND Lösungen! So beschreibt Prof. Rüdiger Lutz im aktuellen Rave New World Magazin Die unbewusste Revolution: Die Tatsache ist entscheidend, dass die junge Fernsehgeneration, also diejenigen, die von klein auf dieser neuartigen Technologie ausgesetzt waren, eine Bewusstseinsveränderung erleben, eine Bewusstseinsveränderung, die in einigen Aspekten dem entspricht, was Mysterienschulen, esoterische Traditionen, Entheogene oder psychedelische Substanzen verursachen können.

Alles wird aus Chaos geboren, besonders in dieser Nacht... in ihr wird getanzt, gelacht, gespürt und geteilt. Denn, selbst wenn das Geschehen an sich sehr energetisch ist und hier und da etwas angsteinflößendes haben mag: diese Jungen Wilden Horden von Menschen, die das Erdreich der Kuppe des heiligen Berges erheben lassen.... inmitten des dunklen Waldes, vom flackern der Feuer beleuchtet, mit Räucherstäbchen und kreisenden Joints, so können hier ebenso moderne, wie archaische Wahrnehmungen von stammesgleichen Elementen des beisammen Seins erhascht werden. Hier wird das der Jugend verwehrte Übergangsritual lebendig und zugänglich, durch Bilder und Gefühle von Vertrauen, die aus der primären Verbindung zu den Elementen der Natur, wie zu-ein-ander und zum eigenen Wesenskern entwachsen. Es sind selten gewordene Momente von wirklichem Wert für die Gegenwart und Zukunft der menschlichen Gemeinschaft (und für die Entwicklung sozialer Kompetenz.)

Aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Ausrichtung und Intention, bei stetig steigenden Besucherzahlen, ergab sich in den vergangenen Jahren, nurmehr ein relativ diffuser Fokus, der immer nur kurz gebündelt wurde, durch fantastische Trommeleinlagen und Feuerzungen der Feuerspucker. Mit jeder neuen Flammenfontäne die im unteren Rondell in die schwarze Nacht geschickt wurde, tauchten dann die abertausend Gesichter derer auf, die sich friedlich auf den Treppenstufen der Thingsstätte niedergelassen hatten. In den wenigen Momenten solcher archaischen Ausdrucksformen und des Zelebrierens unserer gemeinsamen Andersartigkeit, hallten ekstatische Jubelschreie über den urzeitlichen Versammlungsplatz hinweg. Doch nicht nur fliessende Freude - auch Schmerz und Blockaden kommen im Rahmen der nächtlichen Zelebration zum Ausdruck: Tonnen von hauptsächlich Glasmüll, die Jahr für Jahr auf der Thingstätte zurückbleiben, deuten zwar auf (noch) mangelnde Selbstverantwortung der nächtlichen Besucher, aber bislang wird das Mitbringen von Getränkeflaschen durch die fehlende Ko-operations-Bereitschaft der städtischen Behörden ja geradezu gefördert. Dabei ist absehbar, dass wenn entsprechenden Alternativen angeboten werden; so etwa eine nicht-kommerzielle Bereitstellung von Trinkwasser und Pfandbechern, eine Vielzahl der unfreiwilligen Wanderer ihre Flaschen nicht den Berg hoch tragen würden.
Dass meist junge Kids am nächsten Morgen, von Feuerwehr oder Polizei, aus dem inneren der zwei Ringwälle aufgesammelt werden und die Diagnose Alkoholdelirium lautet (hochdeutsch für Trance- bzw. Rauschzustand mit schweren Vergiftungserscheinungen und entsprechenden Erinnerungslücken), lässt dies vermuten, dass wieder einmal viele der nächtlichen Besucher smart drugs mit Smarties und Pilze mit Pils-Bier verwechselt hatten.

Das ortsansässige Rave New World Magazin, ein von der Pyromania-Arts Foundation initiiertes Forum dieser neo-schamanischen Bewegung, betont den Wert des offenen Raums und der chilligen Vibes der frühen Jahre:
„Wenn wir gemeinsam durch den Wald schreiten, begeben wir uns schon physisch auf den ’Alten Weg’. Und wenn wir im Geiste unseren Atem, mit dem der Bäume, mit Gaia - der lebendigen Erde teilen, dann sind wir auch psychisch eingestimmt und willkommen an dem Ort, an dem die anderen (wie wir) sind, dem Ort an dem wir der Erdgöttin nahe sind und sie mit unseren tanzenden Füssen, mit unserem Trommeln massieren. Wenn wir immer mehr schon beim Aufstieg zur Thingsstätte alles ausatmen, was nicht in uns hinein gehört und wir uns in dieser Nacht frei machen (von dem Ballast und all dem neuzeitlich-kulturellen Gedankenmüll) dann ergeben sich Ruhe, Klarheit und der entsprechende Raum, in dem uns die subtile Kraft erfasst, sie durch uns strömt und uns teil-haben-lässt an einem Akt der Schöpfung, den wir getrost Magie nennen dürfen. Wie jede Open Air-Party bietet Euch die Nacht der Walpurga die Möglichkeit, etwas von den Elementar- und Naturkräften selbst zu lernen! Nehmt einfach Kontakt auf und tretet in Verbindung mit dem Wind, dem Wald, dem Getier, den Pflanzen und Steinen, wie auch den Menschen um Euch. Zollt dem Leben an diesem Ort Euren Respekt und Eure wache Aufmerksamkeit!“

In dieser Nacht können wir uns mit Mutter Erde und den globalen Themen von Familie, Wurzeln und Selbstregeneration verbinden und die Notwendigkeit einer neuen Gebrauchsanweisung für unseren Planeten deutlich werden lassen!

Jedes Jahr wächst nicht nur die Anzahl der Menschen die zur Walpurgisnacht auf den Heiligenberg ziehen...alljährlich wächst auch die Anzahl derer, denen sich die alte Wahrnehmung unserer Ahnen eröffnet und die sich dennoch geerdet im Hier und Jetzt bewegen.

Die Kelten hießen in der alten Sprache die Angekommenen - So sei es !

Quelle: © Boris Hiesserer (Pyromania Arts Foundation), Rave New World Magazin 2002

Note: Es gibt durchaus Selbstinitiative bei der Müllbeseitigung, wie im vergangenen Jahr zu beobachten war, als verbleibende Besucher am Morgen des 1. Mai selbst Hand anlegten und Abfälle in mitgebrachten Mülltüten sammelten oder bei der sogenannten Frühjahrs-Putzaktion, die einmal jährlich von Freiwilligen durchgeführt wird. (Umweltamt Heidelberg: Herrn Fabian 06221-582938).

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