DIE FRAU ALS SCHICKSALSHÜTERIN - Vom Erwachen der Göttin

Tradition sollte absolut nicht, wie im allgemeinen üblich, als ein rigides Festhalten an starren Überlieferungen verstanden oder dargestellt werden, sondern vielmehr zu Wandel und Entwicklung anregen. Damit Tradition und Mythos nicht weiterhin ihre Bindekraft verlieren, darf Brauchtum nicht alt, überholt, statisch und tot daherkommen, sollten sie einen lebendigen, vermitteln aktuellen Bezug zur Gegenwart und dadurch helfen, Verletzung und Verschiedenheit zu überwinden und Angst und Schuld abzubauen.

Der erste Sündenbock unserer biblischen Geschichte war, wie wir alle wissen weiblich. Doch entgegen der christianisierten Version war nicht Eva, sondern Lillith die erste Frau Adams!Sie ist die Lillith, die schon zu Beginn der Menschheitsgeschichte eine Kontroverse eröffnet: das Problem der (Un-)Gleichheit und angestrebten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Lillith, als die erste Frau Adams lehnt sich gegen ihren Mann auf und entschwebt beflügelt in die Lüfte.
Wie die geflügelt gefiederte Schlange, ist sie ein Ursymbol kreativer schöpferischer Kräfte. Sie ist die Drachin, die durch ihren Orgasmus Flügel bekommt.

Ihr Mythos wiederspricht dem traditionell christlichen Bild und hilft dabei, die uralte Männerherrschaft zu überwinden. Sie ist die Urmutter-Hexe, die Urgöttin, deren heilige Wasser in den Bechersteinen angebetet und die als Sophia - die in die Materie eingebettete Weisheit - von den Alchemisten verehrt wurde. Die Planetin Erde (die sich als Urmutter bewußt entschieden hat, in dieser Zeit zu inkarnieren ist ihrerseits schwanger. Und wenn die neuen Göttinen aus dem Geburtskanal entweichen und dem Licht des Tages entgegenblicken werden, wird sich auch unsere Sicht der Welt verändert haben. Sie wird in uns und in allem um uns herum lebendig und gegenwärtig.
Die Schicksalfrau ist die Wanderin zwischen Vergangenheit und Zukunft. Befreit vom Rad der Zeit (eine buddhistische Metapher) bildet sie die Schnittstelle zur ewigen Gegenwart und überblickt mit ihrem zweiten Gesichte die Dinge die schon geschehen sind und/oder noch geschehen werden. Insofern wurde die germanische Frau als schicksalskundige Prophetin geachtet, denn die Gabe der Prophezeihung geht einher mit der Gabe des Gesichtes. Wir können die Wallhall-Walküren der Germanen müssen aus dieser Perspektive, als gewiefte hellsichtige Zeitreisende betrachten.

Tod & Wiedergeburt (des Schamanen-Heros) haben wir bereits darauf hingewiesen, dass Zaun oder Hecke (die den Bereich der Kultur von dem der Wildnis trennten) in der archaischen Mentalität nicht nur keine unüberwindliche Grenze darstellte. Zu gewissen Zeiten wurde dieser Zaun sogar niedergerissen (bei Troja-Spielen bis ins hohe Mittelalter). Wer mit Bewusstheit innerhalb des Zaunes leben wollte, der musste wenigstens einmal in seinem Leben diese Einfriedung verlassen, die Wildnis in sich selbst gefunden und sich seiner Tiernatur und Sterblichkeit bewusst geworden sein.

So überliefern die alten Mythen und Rituale wie der Jungferntanz oder die Walpurgisnacht ermöglichen die Grenze (Waberlohe oder Hag) zu überschreiten, um zu erkennen das unsere kulturelle Natur (schicksalshaft an die tierhafte fylgia gebunden) nur die eine Seite unseres Wesen darstellt. In Mythen, Märchen und Sagengeschichten endet die Erfahrung dieses „Gesichte“ des verborgenen „Alter Ego“ oftmals mit dem Tode (wie zum Beispiel nächtlich im Traum, in dem sich dem Menschen die eigene nagual-Natur zeigt) und wir unser anderes Ich sehen, sobald wir unser vertrautes Selbstbildnis loslassen und begreifen, dass wir, um über uns hinauszuwachsen, die Identifikation mit uns selbst und unserer gesonderten Einzelwesenhaftigkeit zu zerstören haben.

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